An die Generationen, denen die Zukunft gehört. Ein Weckruf.
Es sind nicht nur meine Kinder und Enkel um die es geht. Es sind die Kinder und Enkel aller Eltern. Es ist das menschliche Leben, das mir mehr wert ist als der Tod. Die zynischen Kriegsspiele und Hochrechnungen von möglichen Opfern kann ich weder menschlich noch moralisch nachvollziehen. Jene, die andere opfern wollen, sollen bitte mit gutem Beispiel vorangehen.
Es sind wieder einmal Zeiten, in denen alle menschlichen Werte wie Mitgefühl, Vergebung und Hilfsbereitschaft über Bord geworfen werden. Mithilfe jener, die diese Werte predigen. War da was mit christlichen Parteien? Du sollst nicht töten?
Ihr, Kinder und Enkel der Welt, die ihr die Zukunft seid, es liegt jetzt leider an euch. Meine Generation und ich haben versagt. Wir waren nicht bereit dem was jetzt kommt Einhalt zu gebieten. Wir haben das Maul gehalten um euch eine zweifelhafte Zukunft zu eröffnen. Wir haben gehofft und gebetet, aber wir sind gescheitert.
Hätten wir euer Leben und euer Wohl einem nicht zu gewinnenden Kampf gegen Krieg und Macht opfern sollen? Im Rückblick vielleicht. Wenn ihr bereits Kinder habt, versteht ihr was ich euch sage. Ein nicht einfach lösbares Dilemma, das nichts als den höchsten Preis fordert.
Wir waren zu bequem und zu besorgt. Und jetzt habt ihr den Scheiss. Sorry, das war sicher nicht, was Eltern gedacht haben, als sie so handelten, wie sie gehandelt haben.
Und, zu meiner Schande, ich kann euch beim besten Willen nicht sagen, wie weiter. Habe zu viel versucht und bin zu oft gescheitert. Es liegt an euch über mich, eure Eltern, eure Situation hinauszudenken. Ein Armutszeugnis, ich weiss.
Möglicherweise hilft euch ein Blick zurück zum russischen Nihilismus etwas weiter, auch wenn es wenige historische Dokumente gibt, die nicht in russisch geschrieben sind und noch verfügbar sind.
Ich bin kein Historiker, aber so wie ich den russischen Nihilismus verstanden habe, war er keine philosophische Strömung, sondern eine Möglichkeit, Regeln neu zu denken. Die Ablehnung von Begriffen führte nicht dazu, dass man alles abgelehnt hat, wie es die Philosophie der Griechen nahelegen würde, man hat erkannt, dass Begriffe sinnentleert sind und versucht diese Begriffe neu zu prägen und auch zu ersetzen. Was auch etwas von dem um sich greifenden Woke-Faschismus hat, leider.
Die russischen Nihilisten waren eine der ersten Bewegungen, die Gleichberechtigung für Frauen denken konnte, Wohngemeinschaften, neue Formen der Beziehung und des gesellschaftlichen Miteinanders. Und sie konnten dies nur, weil sie sich von den damaligen Begrifflichkeiten gelöst hatten.
Wie diese simple Aufgabe, ein paar Punkte mit einer definierten Anzahl an Linien in Verbindung zu bringen. Man muss die Linie jeweils lang genug machen, über den scheinbar denkbaren Rahmen hinaus. Dann funktioniert es ganz einfach.
Man kann etwas nur neu denken, wenn man den alten Begriff nicht mehr gelten lässt, nicht mehr in der alten Dimension. Wobei man sich davor hüten muss, anderen etwas aufgrund dessen zu befehlen oder vorzuschreiben.
Dass die russischen Nihilisten eher als Terroristen in Erinnerung geblieben sind, denen nichts mehr etwas wert ist, halte ich für eine Geschichte, die von den Siegern geschrieben wurde. Erinnert etwas an das Andenken, dass wir über Vandalen haben. Aber darum geht es auch nicht und ich bin kein Historiker, der dass fachlich beurteilen könnte.
Es geht darum, dass ihr Kinder und Enkel die aktuellen Begrifflichkeiten erstmal negieren müsst, um sie neu denken zu können. Ansonsten seid ihr in der Falle und es scheint kein Entrinnen zu geben.
Ob eure neue Wege bessere Möglichkeiten aufzeigen als die der russischen Nihilisten, mag die Zukunft zeigen. Und sicher werdet ihr genauso viele Fehler machen wie eure Eltern und Grosseltern. Diesem Schicksal kann man sich nicht entziehen.
Aber wenn ihr nicht wollt, dass eure Kinder und Enkel zu Kriegsressourcen und Kriegsleichen werden, dann wäre jetzt ein guter Zeitpunkt aufzustehen. Wenn auch etwas zu spät, da wir, eure Vorfahren, versagt haben. Es gesehen und nicht genug getan oder es nicht gesehen. Es spielt keine Rolle, dass Hier und Jetzt fragt nicht nach dem Verursacher. Es ist.
Vielleicht könnt ihr euren Eltern auch so zeigen, dass es anders geht und das ihr ein kleines bisschen besser seit als eure Eltern. Was mehr will man als Vater oder Mutter denn, als dass die Kinder einen übertreffen und bessere Möglichkeiten finden als man selbst?
Ich gehe gern mit auf eine Demo. Bin dankbar für Sitzgelegenheiten. Ihr könnt mich dann gern in die erste Reihe schieben, wo ich den Polizisten erfolglos ins Gewissen reden werde. Aber ich kann das nicht mehr organisieren. Nur versuchen, meine Schuld im Rahmen meiner Möglichkeiten abzuarbeiten.
Wartet nicht solange wie eure Eltern. Diese Hoffnung war vergebens und eine Hollywood-Illusion. Steht jetzt auf für Frieden, macht euch selbst stolz und vielleicht auch eure Eltern.
Steht jetzt auf für den Frieden!
Ein paar Links zum russischen Nihilismus (Wayback Machine, also möglicherweise auch nicht mehr lang verfügbar):
Sergius Stepniak on Nihilism and Narodnichestvo
Ivan Turgenev: Väter und Söhne
P.S.: Kleines Beispiel von Turgenev. Im zweiten Kapitel ist eine Fussnote, die erklärt, dass man vormals entweder die Endung „off“ oder „eff“ angefügt hat und das dies ausreichte um Ehrbezeugung klarzumachen. Aber mittlerweile waren „eff“ und „off“ nur noch für Geringere üblich. Es war höflich „witsch“ anzufügen, eine Endung die sonst nur dem höheren Adel gewährt wurde.
Es war eine erste Verwischung der „gedachten“ Grenzen. Ich adle dich, durch den Namen, den ich dir gebe. Wer auch immer du bist. Ich schätze den Wert der Endung „witsch“, aber ich bestimme, wen ich als würdig erachte.
Und es ist auch eine Infragestellung. Warum brauche ich „witsch“, wenn „eff“ und „off“ doch ausreichend waren?
Genug Stoff, darüber nachzudenken.